Der späte Vogel und dickes Mondaufgangsglück
29.08.2021 19:00
Merkwürdige Überschrift? Auf den ersten Blick vielleicht. Aber erinnert Ihr Euch an meinen Beitrag Anfang April „Der frühe Vogel und dickes Sonnenaufgangsglück“? Wartet ab, es wird noch ein Schuh draus! ;-)
Nachdem ich die beleuchtete Passat in Travemünde abgelichtet und Kamera & Co. schon eingepackt hatte, stellte ich fest, dass die Wetterapp Recht behalten und alle Wolken sich verzogen hatten. Der kleine alte Leuchtturm in Travemünde strahlte unter einem sternenklaren Himmel. Was für ein Anblick! Leider konnte ich den Turm aber nicht fotografieren, denn hier hätte Vordergrund das Bild alles andere gesund gemacht. Durch die Baustelle an der Promenade in Travemünde standen überall Baufahrzeuge, Absperrungen, Klo-Wagen und ähnliches unansehnliches Zeug herum, was ein schönes Foto unmöglich machte. Da stand ich nun unter den Sternen, der Himmel wunderschön noch mit einem Rest intensiven Blaus am Ende der blauen Stunde und ich haderte mit der Situation. So lange wollte ich doch schon die Sterne mal fotografieren. Ich habe da noch ein paar nächtliche Motive auf meiner langen Wunschliste, die ich noch nicht umsetzen konnte, und in dem Moment tat es richtig weh, den Himmel und den Leuchtturm so zu sehen.
Während ich dann zum Auto ging und mir das keine Ruhe ließ, fiel es mir ein. Himmel, Arsch und Zwirn, der Hemmelsdorfer See mit den Stegen war doch gerade hier um die Ecke! Kaum Umgebungslicht, keine hohen Gebäude, ein hübscher Vordergrund.. perfekt für Aufnahmen des nächtlichen Himmels!
Zehn Minuten später (o.k. es waren genau 12) stand ich auf dem Parkplatz an dem großen See, wo ich im Frühjahr bereits den wunderschönen Sonnenaufgang fotografieren konnte.
Ich war echt heiß wie Frittenfett auf den Nachthimmel, muss aber gestehen – und der aufmerksame Leser älterer Beiträge wird wissen, was jetzt kommt – es kostete mich echt Überwindung, auszusteigen. Mir gruselte es schon ziemlich, mutterseelenallein zum Steg runter zu laufen. Dass die leerstehenden Gebäude da am See beleuchtet sind und man gar nicht im ganz Dunklen da rumläuft, macht die Sache paradoxerweise noch unheimlicher. Ich glaube, ich wäre mit totaler Dunkelheit besser klar gekommen. So versucht man (ich) in dem Licht und in den Schatten wohl immer etwas zu sehen, was nicht da ist. Den Rucksack hatte ich gleich im Auto gelassen und mir nur die Kamera und das Stativ geschnappt, weil ich ja nur „mal ganz schnell“ auf dem Steg ein, zwei Bilder machen wollte. Da ich ja schon den ganzen Abend fotografiert hatte, hatte ich mir schlau wie Schlange immerhin noch schnell einen Akku in die Hosentasche gesteckt, um nicht auf dem See feststellen zu müssen, dass der Akku in der Kamera die Biege gemacht hatte und ich nochmal zurücklaufen muss..
Was soll ich sagen? Es fühlt sich DEFINITIV bei weitem weniger gruselig an, wenn man morgens im Dunkeln allein irgendwo zum Fotografieren steht und das Tageslicht erwartet als abends, wenn das allerletzte Blau im Himmel langsam dem Schwarz weicht und die Nacht vor einem liegt. Wenn dann noch das Rauschen und Rascheln vom mannshohen Seegras, das Gluckern und Plätschern der Wellen und das Knatschen der vertäuten kleinen Boote hinzukommt, ist die Gänsehautatmosphäre perfekt. Ich bin ehrlich: Ich hatte so Schiss (wovor auch immer?!), dass ich am ganzen Körper eine Gänsehaut hatte und geschlottert hab wie Espenlaub. Wie bescheuert! Rational gesehen, was soll einem da mitten in der Wallachai passieren? Dass der Buschekeckmann ausgerechnet da nach einem Opfer sucht, wo sich zu der Uhrzeit normalerweise kein Mensch mehr rumtreibt, ist doch total unwahrscheinlich. Eigentlich sollte man viel mehr Angst haben, während man wie vorher an der Promenade in Travemünde noch (alkoholisierten) Menschen begegnet. Aber diese Urinstinkte, die einen laut anschreien, den Arsch aber mal ganz schnell zurück ins Auto zu bewegen, bringt man halt durch sachliche Argumente irgendwie nicht zum schweigen, und so hab ich mir fast in die Hose gemacht.
Die ersten Versuche, „mal schnell“ ein gescheites Bild aufzunehmen, verliefen dann auch dezent holprig. Verdammt, fokussieren im Dunkeln. Wie soll das denn gehen? Ach ja, am besten das Objektiv manuell auf „unendlich“ stellen. Mist, die Stellung ist nicht ganz am Anschlag, sondern ein Stück vorher. Handylicht reicht irgendwie nicht aus, hier alles vernünftig hinzukriegen. Und die Taschenlampe.... lag natürlich im Auto. Was für ein Anfängerfehler. Ich schulterte also wieder meine sieben Sachen und lief.. sehr zügig.. zum Auto zurück. Um da festzustellen, dass meine kleine Supertaschenlampe partout nicht funktionieren wollte. Es blieb zwar noch die Stirnlampe, aber irgendwie..... waren meine Füße da auf dem Parkplatz plötzlich angeklebt. Ich war so hin und hergerissen, zwischen „ach ich muss doch da nicht mehr runter, das kann ich doch auch ein anderes Mal machen (wenn jemand mitkommt)!“ und „ich MUSS jetzt einfach diesen Sternenhimmel aufnehmen verdammt!“, dass ich total unschlüssig auf dem Parkplatz stand. FAST wäre ich wirklich abgeknickt und nach Hause gefahren, aber Gott sei Dank hab ich mich zusammengerissen und bin tatsächlich nochmal wieder runter zum See. Und dieser Mut wurde so sehr belohnt!
Als ich aus der ersten Position auf dem Steg aus ein paar Bilder machte, hatte ich das rötliche / gelbe Licht erst noch gar nicht bemerkt, das hinter der Vogelplattform auftauchte (das habe ich tatsächlich erst hinterher auf den Fotos gesehen). Erst als ich die Stege – nach einem weiteren ernsten Zwiegespräch mit mir selbst und harter Überzeugungsarbeit gegen meinen verängstigten inneren Schweinehund - ein ganzes Stück weiter rumlief, um dieses Häuschen nochmal aus einer anderen Perspektive aufzunehmen, wunderte ich mich, woher das Licht in der Ferne kam. Und dann realisierte ich, dass diese mega Lampe, die sich am Horizont hochschob, der Mond war!
Völlig ungeplant und trotz mehrerer Fast-Abbrüche stand ich plötzlich mitten in der Nacht genau dort auf dem Steg, wo ich so ein unfassbar tolles Erlebnis mit dem Sonnenaufgang hatte, und nun ging diesmal an genau der gleichen Stelle der Mond auf!
Wer sich jetzt fragt, was daran besonderes sein soll, den frage ich: Hast Du schon mal einen Mond aufgehen sehen? So richtig?
Viele kennen sicher den grandiosen Anblick, wenn der Mond kurz nach dem Aufgang noch sehr tief am Horizont steht und daher super groß (oder manchmal sogar richtig riesig) erscheint. Wir haben ihn schon in rot gesehen oder man kann manchmal bei klarer Sicht sogar mit bloßem Auge die Krater erkennen oder oder. Aber für gewöhnlich sehen wir den Mond eben erst, wenn er über den Häusern in der Umgebung zu sehen ist oder über den Bäumen auftaucht. Da ist er aber schon deutlich über den Horizont hinaus. Mir wurde in dieser Minute da auf dem dunklen See bewusst, dass ich noch nie einen Mondaufgang ganz bewusst angesehen hatte mit völlig freier Sicht. Also den Moment, wenn er am Horizont erscheint. Es war einfach unglaublich, dem zuzusehen. Dieser mega helle Ball, der so schnell wie die Sonne morgens höher stieg und dessen Licht sich ebenso wie bei der Sonne im Wasser spiegelte, war einfach ein faszinierender Anblick.
Wenn man das nicht selbst erlebt hat, nicht selbst im Stockfinstern im kalten Wind stand, mit den dunklen und bedrohlichen Wellen um einen herum, kann man es vermutlich nicht ganz nachvollziehen, was für ein krasses Erlebnis das war. Wie faszinierend und eben gar nicht alltäglich.
Aber für mich war es wirklich unglaublich. Es war ein Geschenk, mit dem ich überhaupt nicht gerechnet hatte. Es war ja wie gesagt völlig ungeplant, dass ich zu dem Moment an dem Ort stand, und ich war zutiefst dankbar, dass ich das erleben durfte und glücklich, dass es sich so ergeben hatte. Wäre ich vorher abgeknickt, hätte ich dieses tolle Erlebnis ja nie gehabt.
So versuchte ich natürlich, diesen emotionalen Moment in Bildern festzuhalten, was leider sehr schwierig (bis unmöglich) ist. Diese Lichtsituation kann man leider nicht wirklich in einem einzelnen Foto festhalten. Ich wollte natürlich den Steg sichtbar haben als „fixes“ Element im Vordergrund, und auch die unzähligen Sterne sollten möglichst zu erkennen sein, und dann der Mond selbst natürlich. Das geht technisch einfach nicht. Für den Mond hätte ich eigentlich massiv abblenden und kurz belichten müssen, aber dann wäre die Umgebung einfach nur schwarz gewesen. Die Blende aufzureißen und länger zu belichten, so dass die Sterne zu sehen sind, führt aber natürlich zu einem völlig überbelichteten und verschwommenen Mond.. Aaarrgg, das war mal wieder eine knifflige Aufgabe, und ich habe versucht, das Beste draus zu machen. Die entstandenen Bilder sind daher definitiv technisch alles andere als astrein. Es sind Steg, Sterne und Mond drauf, aber alles andere als perfekt. Ich hätte natürlich mehrere Fotos mit unterschiedlichen Belichtungen machen können, um diese danach in einem Bild zusammenzufügen, aber wie Ihr wisst, bin ich nicht der Typ für Composings in Photoshop. Ich möchte das eine realistische Bild vor Ort aufnehmen, also muss ich nun eben mit diesem Kompromiss leben.
Aber die Bilder in meinem Kopf und das schöne Erlebnis und die unbändige Freude über selbiges (und die Tatsache, den Klauen der Bestien der schwarzen Nacht entkommen zu sein und überlebt zu haben) kann mir keiner mehr nehmen.
Der Abend war also wieder einmal der beste Beweis dafür, dass man belohnt wird. Wenn man sich überwindet. Einfach mal machen, einfach mal ausprobieren. Erst die nette Geste des Bootsbesitzers in Travemünde und die tolle Lichtshow, das Glück mit dem Wetter und dann ein Mondaufgang am See. Was für ein erfolgreicher Fotoausflug mal wieder.
Und auch wenn die Bilder leider nicht wiedergeben, wie spektakulär es für mich vor Ort war, will ich Euch die Aufnahmen natürlich nicht vorenthalten: Hemmelsdorfer See